Coronafonds der EU: Karlsruhe muss die Demokratie in Europa schützen

Der Präsident des Europäischen Gerichtshofs hat seine Institution mit dem amerikanischen Supreme Court verglichen. Das ist eine politisch legitime Vision, kennzeichnet aber gerade nicht den Zustand Europas. Die Europäische Union ist auch nach einer jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte – der EuGH feiert gerade seinen siebzigsten Geburtstag – eben kein Bundesstaat.

Den Grund dafür muss man nicht lange suchen. Die Mitgliedstaaten wollen das nicht. Sie haben ein supranationales Gebilde eigener Art geschaffen, für das sie auf bestimmten Feldern ihre Macht teilen und Befugnisse übertragen. Das Problem ist: die Organe der EU sehen im Prinzip in jedem Problem gleich ein europäisches und wollen es regeln – auch wenn das die Verträge sprengt oder eigentlich die Mitgliedstaaten zuständig wären.

Auch der Europäische Gerichtshof arbeitet, wie in Luxemburg auch recht offen gesagt wird, emsig an der Konstitutionalisierung Europas als Staat. Das ist aber vertragswidrig und undemokratisch – und es kann auch sonst teuer werden.

Weitgehend unkontrolliert

Ein Beispiel dafür ist nicht nur das Verhalten der weitgehend unkontrollierten Europäischen Zentralbank, das schon zu einem einmaligen, aber absehbaren Bruch mit dem Bundesverfassungsgericht geführt hat. Es geht auch generell um eine entgrenzte Politik , wie jetzt bei dem sogenannten Eigenmittel-Beschluss zur Finanzierung der „Next Generation-EU“.

Der Name ist Programm – und typisch. Um die Corona-Pandemie zu bewältigen, ist ein riesiger Fonds aufgelegt worden. Die Kommission wird ermächtigt, bis zu 750 Milliarden Euro aufzunehmen. Der Bundestag hat dem zugestimmt. Nun sind Hilfen im Geiste der Solidarität im Fall von außergewöhnlichen Ereignissen vertraglich möglich. Doch Mittel etwa für den Klimaschutz, die im Rahmen dieses Programms großzügig vorgesehen sind, haben kaum etwas mit Corona zu tun.

Hier passiert, was auch auf nationaler Ebene hinlänglich bekannt ist: Trotz strikter Bindungen an bestimmte Zwecke wird das Füllhorn ausgeschüttet. Während aber in den Mitgliedstaaten die dortigen Verfassungsgerichte einschreiten können, fällt eine Kontrolle in Europa weitgehend aus. Wenn freilich der Zweck die Mittel heiligt, dann muss gerade in einem vertraglich fundierten Staatenverbund, der keine Schuldenunion sein will, noch eine Instanz auf die gemeinsam vereinbarten Kompetenzen achten – und damit auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Bürgernähe.

Das ist für Deutschland das Bundesverfassungsgericht. Und der Zweite Senat sieht beim Eigenmittel-Beschluss der EU denn auch „gewichtige Bedenken“. So ist der Bundestag gehalten, die Verwendung der Mittel aus dem Wiederaufbaufonds und das Haftungsrisiko fortlaufend zu beobachten. Das deutsche Parlament muss den Bundeshaushalt schützen.

Hier aber sehen die Karlsruher Richter noch keinen offensichtlichen Verstoß gegen die europäischen Verträge; auch die Verfassungsidentität des Grundgesetzes sei nicht berührt. Deshalb bestand auch kein Anlass für eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof.

Die Wächterfunktion

Das kann man auch anders sehen. Hier zeigt sich jedenfalls die integrationsfreundliche Karlsruher Rechtsprechung: nicht nur wird der grundsätzliche Vorrang des Europarechts anerkannt, sondern das Gemeinschaftsrecht muss auch europafreundlich ausgelegt worden.

Deutlich ist aber weiterhin, dass die Wächterfunktion über das gemeinsam gesetzte Recht eben nicht nur dem Europäischen Gerichtshof überlassen werden kann. Das bleibt wichtig, auch wenn die Gefahr besteht, dass das etwa in Polen das falsch verstanden wird. Denn gerade wer will, dass aus der Europäischen Union dereinst die Vereinigten Staaten von Europa werden, kann mit den Bürgern erreichen. Auch der Europäische Gerichtshof sieht hier noch Defizite; und es ist kein Zufall, dass das Bundesverfassungsgericht – mit allen seinen auch seiner Macht und Beliebtheit geschuldeten Mängeln – als Bürgergericht gilt.

Nichts ist selbstverständlich, der demokratische Rechtsstaat in Europa muss sich täglich neu behaupten; das gilt gerade in dieser herausfordernden Zeit. Zumal das Bundesverfassungsgericht sich selbst in einem tiefgreifenden personellen Umbruch befindet. Es ist unklar, ob die Karlsruher Linie, die auch Vorbild für andere Verfassungsgerichte war. von andere, weiter durchgehalten wird. Verfassungsrichter Peter Müller wirft der Senatsmehrheit schon jetzt vor, nicht genug zum Schutz der Demokratie zu tun. Und auch wenn die vermeintlich europafreundliche Wissenschaft Sturm läuft (die anders als die Justiz nicht über die Schicksale von Menschen entscheidet): Europa kann nur von unten, selbstbestimmt, in Vielfalt und unter der Herrschaft des Rechts gedeihen.

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