Kommentar zum Zustand der Ampel: Der Parteifriedenskanzler

Jetzt ist es offiziell: Olaf Scholz will Friedenskanzler werden. Auf den Plakaten der SPD für die Europawahl im Juni stellt er sich als Vorkämpfer für den Frieden dar; zum 300. Geburtstag von Immanuel Kant hält er eine lange Rede über den Frieden, spricht viel über den Krieg Russlands gegen die Ukraine, sagt aber nichts Neues; in China wirbt er für Friedenskonferenzen zur Beendigung dieses Krieges, wohl wissend, dass der Machthaber in Peking wenig Interesse an solchen Veranstaltungen hat. Das alles geschieht innerhalb weniger Tage. Es ist ein Signal.

Kein außenpolitisches. Natürlich wäre es dem Bundeskanzler am liebsten, man könnte den Krieg im Osten bald beenden, sofern es nicht auf einen Diktatfrieden zuungunsten ­Kiews hinausliefe, sondern die ­Bedingungen für die Ukraine akzeptabel wären. Ebenso besteht kein Zweifel, dass Scholz es mit der militärischen Unterstützung des geschundenen Landes ernst meint, auch wenn viele mehr Hilfe fordern.

Doch die größere Zumutung als die Militärhilfe für die Ukraine sind für die Kanzlerpartei die katastrophalen Umfragewerte. Nach 16 Jahren CDU-Herrschaft droht der SPD schon nach einer Legislaturperiode das Kanzleramt wieder abhandenzukommen. Zudem ist es eine Zumutung für die Genossen, dass sie mit einer FDP regieren müssen, die immer selbstbewusster die sozialpolitischen Ziele der SPD infrage stellt.

Also muss der Kanzler etwas tun, um seine nicht nur aus Scholz-Fans bestehende Truppe bei der Stange zu halten. Und so macht er irgendwas mit Frieden. Für die Kanzlerschaft seiner beiden sozialdemokratischen Vorgänger war das Thema entscheidend. Helmut Schmidt hatte nach Auffassung vieler Genossen mit dem NATO-Doppelbeschluss zu wenig für den Frieden getan. Er verlor die Kanzlerschaft. Gerhard Schröder hat mit dem kräftig antiamerikanisch eingefärbten Widerstand gegen den Irakkrieg nach Meinung zahlreicher Genossen und Wähler viel für den Frieden geleistet und sicherte sich so eine zweite Amtszeit.

Antiamerikanismus als Joker

Scholz will es also wie Schröder machen. Mit dem Antiamerikanismus klappt es derzeit nicht, zumal Scholz sich seit Beginn des russischen Angriffs eng an die Seite des amerikanischen Präsidenten Joe Biden stellt. Sollte aber Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehren, lässt sich leicht ausmalen, dass die Sozialdemokraten wie schon vor der Bundestagswahl 2017 kräftig auf die antiamerikanische Pauke hauen werden.

Ausgerechnet in einer für Scholz so heiklen Situation verkündet SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, dass man erst kurz vor der Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres den Kanzlerkandidaten ausrufen werde. Den Namen Scholz nennt er nicht, sondern spricht nur von „personeller Klarheit“. Das kann man so machen. Kühnert hätte aber auch sagen können: „Wir haben einen Kanzler, also haben wir auch einen Kandidaten. Punkt.“ Noch gibt es keine Anzeichen dafür, dass die SPD mit einem anderen Kandidaten ins Rennen gehen wollte. Es wäre auch ein hoch riskantes Manöver, mitten im Fluss das Pferd zu wechseln. Aber wenn das zu sehr lahmen sollte, ist nichts ausgeschlossen. Immerhin gibt es einen sehr beliebten sozialdemokratischen Verteidigungsminister.

Der Kampf der FDP

Die Angst vor den Wählern ist nicht nur in der SPD zu spüren. Deutlicher noch tritt sie bei deren liberalem Koalitionspartner zutage. Der kämpft um die parlamentarische Existenz. So sollte man vor dem Parteitag am Wochenende Zwölf-Punkte-Papiere zur Eindämmung von Sozialleistungen nicht überbewerten. Wie Kühnert sagt: Das gehört zum politischen Geschäft in einer Demokratie und einer Koalition von Parteien, die unterschiedliche Wählerschaften bedienen. Da aber zumindest nach jetzigem Stand eine Neuauflage der Ampel in eineinhalb Jahren wenig wahrscheinlich ist, ist es für die FDP geradezu zwingend, das eigene Überleben dem Frieden in der Ampelkoalition überzuordnen. Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass die FDP vorzeitig von Bord gehen könnte. Aber als Christian Lindner nach der Wahl 2017 unmittelbar vor deren Abschluss die Gespräche zur Bildung eines Bündnisses mit CDU und Grünen platzen ließ, kam das für das Publikum auch aus dem Nichts.

Bei den Grünen herrscht noch einigermaßen Ruhe. Immerhin sind sie seit 2021 nicht so abgestürzt wie SPD und FDP. Nach Umfragen behaupten sie sich in der Nähe ihres Bundestagswahlergebnisses von 14,7 Prozent. Dennoch wächst auch die innerparteiliche Unruhe, je deutlicher sich das Wiederaufleben des Wettstreits zwischen Annalena Baerbock und Robert Habeck um Platz eins auf dem Weg zur Bundestagswahl abzeichnet. Es stimmt schon, worauf auch in der Union hingewiesen wird: Koalitionen halten in Deutschland in aller Regel bis zum Ende der Legislaturperiode. Allerdings haben Ausnahmen – 1982 und 2005 – diese Regel bestätigt.

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