Ein Jahr Deutschlandticket: Das kann nicht alles sein

Das Deutschlandticket war eine politische Sturzgeburt: Aus der Not des Ukrainekriegs geboren, erst als kurzfristiges 9-Euro-Ticket und nur ein Jahr später als dauerhaftes 49-Euro-Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr in ganz Deutschland. Das war weder vorauszusehen, noch war es bis ins letzte Detail geplant. Trotzdem hat es elf Millionen Nutzer angezogen, die Digitalisierung der Verkehrsunternehmen vorangetrieben und etliche Menschen dazu bewegt, das Auto stehen zu lassen. Ersten Marktforschungen zufolge fahren Deutschlandticket-Inhaber 16 Prozent weniger Auto.

Zum ersten Jahrestag am 1. Mai kann man diese Errungenschaften noch einmal erwähnen, aber inzwischen macht sich Ernüchterung breit. Spätestens jetzt kommen die Bedenken hoch, die sonst üblicherweise ein solches Mammutprojekt bei seiner Entstehung begleiten. Zur Wahrheit gehört nämlich auch: Angesichts des fast schon ruinös niedrigen Preises nutzen noch viel zu wenige Menschen das Deutschlandticket. 49 Euro im Monat für ein Abo-Modell, das die Kunden monatlich kündigen können, ist spottbillig.

Rund 3 Milliarden Euro kostet der Rabatt den Staat jedes Jahr

Das gerät schnell in Vergessenheit, wenn ausgerechnet der dauerklamme Berliner Senat von Juli an das Angebot auch noch mit einem 29-Euro-Ticket unterbieten will. Offen bleibt wozu. Mehr als 70 Prozent der Kunden profitierten schon durch die Einführung des Deutschlandtickets von deutlichen Einsparungen, auch in der Hauptstadt. Die entstandene Lücke in den Einnahmen müssen die Steuerzahler begleichen. Rund 3 Milliarden Euro kostet dieser Rabatt den Staat jedes Jahr. Da muss schon mehr herausspringen als ein paar zusätzliche Fahrten mit dem Regionalexpress nach ­Rügen oder an den Bodensee.

Im öffentlichen Nahverkehr ist das jedoch komplizierter, als viele glauben. Allen negativen Klimanachrichten zum Trotz ist das Auto weiterhin das Verkehrsmittel, das die Bürger am liebsten nutzen. Rund 70 Prozent der Menschen sehen darin das „ideale Verkehrsmittel der Zukunft“, wie die HUK-Mobilitätsstudie jüngst ergab. Bus und Bahn kommen zusammen auf etwa 40 Prozent. Auch für jungen Leute gilt der Führerschein weiterhin meist als unverzichtbar.

Für einen echten Erfolg des Deutschlandtickets ist es aber unerlässlich, dass die Nutzerzahlen weiter steigen, denn 8 Prozent Neukunden sind zu wenig. Um wirtschaftlich ohne Zuschuss tragfähig zu sein, müssten es 20 Prozent sein, um die Ziele für den Klimaschutz zu erreichen, sogar 30 Prozent. Einen solchen Zuwachs in kurzer Zeit hat es noch nie gegeben. Im Gegenteil: Der Einbruch in den Fahrgastzahlen durch die Corona-Krise war so gigantisch, dass er erst jetzt wieder ausgeglichen werden konnte – dank des Deutschlandtickets. Um eine echte Verkehrswende einzuläuten, muss noch viel mehr geschehen. Der Ausbau des Netzes ist dafür dringend notwendig, gleichzeitig müssen schlecht ausgelastete Verbindungen gestrichen werden.

Es gibt noch viel Einsparpotential

Das ist umso wichtiger, weil es derzeit viele Faktoren gibt, die es den Verkehrsunternehmen schwer machen. Dazu gehören die krassen Steigerungen der Personalkosten. Die von der Inflation beflügelten Tarifrunden hinterlassen ihre Spuren in den Bilanzen der Verkehrsunternehmen. Sie haben alle Hände voll zu tun, die bestehenden Verbindungen irgendwie zu finanzieren. An den Ausbau des ÖPNV ist da nicht zu denken.

All das wird in Zukunft viel Geld kosten. Vor dieser Aufgabe sollten sich weder Bund noch die Länder verstecken. Allerdings gibt es auch viel Einsparpotential, das noch nicht ansatzweise gehoben wurde. Ein einheitliches Ticket lässt sich über eine einheitliche Plattform vertreiben, dazu muss es nicht Dutzende unterschiedlicher Angebote geben. Durch den digitalen Fahrschein können kostspielige Automaten verschwinden, und auch das Angebot lässt sich besser steuern, wenn man weiß, wann die Leute fahren.

Die gute Nachricht ist: Das Deutschlandticket hat sein Potential noch lange nicht ausgeschöpft. Für Millionen Studenten gab es bisher noch kein Angebot. Es dauerte ein knappes Jahr, bis sich alle Beteiligten auf ein vergünstigtes Modell von 29 Euro im Monat einigen konnten. Auch viele Unternehmen haben sich noch nicht dazu durchgerungen, ihren Mitarbeitern ein Jobticket anzubieten. Daran mag die anhaltende Debatte um die Finanzierung ihren Anteil haben, aber da sollte sich niemand täuschen: Das Deutschland­ticket wird es noch lange geben. Für Arbeitgeber besteht deshalb kein Grund zu warten. Auch sie können ihren Beitrag zum Erfolg des Deutschlandtickets leisten.

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