„Lohengrin“ an der Wiener Staatsoper: So war die Premiere

Mit Schrecken erinnert man sich an die Wiener Produktion in der Inszenierung von Barrie Kosky im Jahr 2005, der danach allerdings Weltkarriere machte. In Wien setzte er seltsame Gebilde, die aussahen wie Handymasten, auf die Bühne. Immerhin dirigierte Semyon Bychov, und mit Johan Botha war der damals beste Heldentenor zu hören.

Im Jahr 2014 versuchte Andreas Homoki sein Glück, war mit seiner muffigen Bierzelt-Ästhetik allerdings nicht von jenem verfolgt. Und das Dirigat von Mikko Franck? Naja…

Nun, zehn Jahr danach, ist an der Wiener Staatsoper eine Koproduktion mit den Salzburger Osterfestspielen zu sehen, die dort von Publikum und Kritik szenisch bereits abgeurteilt wurde. Die Inszenierung stammt von Jossi Wieler und Sergio Morabito und ist in vielerlei, eigentlich in jeder Hinsicht seltsam.

Es beginnt damit, dass Elsa diesmal tatsächlich die Mörderin ihrer Bruders Gottfried ist, sie ertränkt ihn während des Vorspiels, obwohl das gar nicht so blutig klingt, Ortrud und Friedrich von Telramund haben mit ihren dauernden Anklagen diesfalls also recht. Das Libretto und die Partitur geben diese Interpretation zwar nicht her, aber was soll’s. Dafür muss Gottfried am Ende, wie ein Untertoter aus der Serie „The Walking Dead“ aus dem Wasser aufgetaucht, Elsa erstechen. Das kann schon passieren, wenn man den Wagner-Kosmos umdreht.

Seltsam sind die Kostüme (Anna Viebrock): Neu, also Klamotten aus den typischen Billigläden aller Einkaufsstraßen dieser Welt, trifft auf Uniformen aus der Zeit von Kaiser Wilhelm. Die kann man ganz gut verwenden, wenn man ein willenlos gemachtes, aggressives Volk zeigen will. Schauen ein bissl nach Nazi aus, sind es aber nicht, soll das Publikum offenbar milder stimmen.

Am seltsamsten ist jedoch der Schwanenritter selbst: Er kommt auf die Bühne wie eine Monty-Python-Figur, singt wesentlich besser als John Cleese und so gut wie Eric Idle in einem anderen Fach. „Always look on the bright side of life“ – bis Elsa die furchtbare Frage stellt. Die silbernen Stiefletten wiederum passen zu einem Wiener Vorstadt-Casanova.

Wie er die Bühne betritt, ist nicht nur seltsam, sondern völlig untheatralisch: Keine Spur von Schwan, aber den erwartet heute eh kaum noch jemand, dafür stapft er wie im „Dritten Mann“ aus der Wiener Kanalisation.

Am seltsamsten ist jedoch das Bühnenbild (ebenfalls von Viebrock): Es ist 1:1 dem Rückhaltebecken in Hütteldorf nachempfunden. Bei den Salzburger Osterfestspielen, auf der riesigen Bühne, hat das sogar noch irgendwie mächtig gewirkt, der Schwanenritter aus dem Wienfluss. An der Staatsoper, massiv zurecht gestutzt, ist es nur noch ein Schwanenritter im Wienbächlein. Eine Koproduktion mit dem Haus für Mozart kann Sinn machen. Aber mit dem doppelt so breiten Großen Festspielhaus?

Das Brautgemach ist eine hässliche Holzpritsche. Und immer, wenn es romantisch wird in dieser Oper, wird das von der Regie negiert beziehungsweise weggeblasen. Beim Hochzeitmarsch dirigiert König Heinrich den Chor, den man nicht sieht (die Koordination mit dem Orchester wird dadurch umso komplexer). Und bei der schönsten Passage der Oper, beim „Gesegnet soll die schreiten?“ (wer braucht schon den Hochzeitsmarsch), winken alle mit seltsamen Fahnen, sodass es äußerst empfehlenswert ist, die Augen zu verschließen und nur dem Orchester zuzuhören.

Die Personenführung ist ambitioniert, wenn auch nicht logisch. Telramund ist kein Adeliger, sondern ein Schlurf aus der Unterwelt. König Heinrich ein Riesenfeigling. Und Elsa die irre Mörderin.

Kommen wir also endlich zur Musik und würdigen wir, was am meisten zu würdigen ist: das Dirigat von Christian Thielemann. Es klang schon in Salzburg mit der Sächischen Staatskapelle Dresden fabelhaft, das Staatsopernorchester ist aber noch eine Liga drüber. Die Damen und Herren folgen Thielemanns kleinstem Wink, er kann wie wenige andere innerhalb eines Taktes die Bremse anziehen oder aufs Gas steigen, er formt das Werk nach seinen eigenen Vorstellungen, setzt Fermaten, Generalpausen, Ritardandi, dann wieder mächtige Accelerandi – ein derart differenzierter „Lohengrin“ ist eine Seltenheit. Auch als Meister der Pianissimi erweist er sich wieder, um dann höchst dramatisch aufzuspielen. Eine beeindruckende Leistung, auch der meisten Musiker, vor allem der Streicher und Holzbläser, das Blech (vor allem der Bühnenmusiker) ist nicht immer präzise.

Wenn wir schon von Präzision sprechen: Die könnte auch bei Malin Byström, der Elsa von Brabant, größer sein, vor allem in der Höhe. Ihr Sopran ist so dunkel timbriert, dass man sich fragt, ob das wirklich die ideale Rolle für sie ist. Und manchmal forciert sie so sehr, wie man es sonst nur von einer Ortrud gewöhnt ist.

Die wiederum macht diesmal das Gegenteil, denn es handelt sich um Anja Kampe, die Beste des Abends, die die Zauberin so schön, dennoch so ausdrucksstark, so wortdeutlich singt, dass es eine Freude ist.

Wortdeutlichkeit zeichnet auch den Telramund von Martin Gantner aus, der allerdings nicht sehr bedrohlich und sehr hell timbriert, etwas leicht für diese Partie ist. Sowie den König Heinrich von Georg Zeppenfeld, bei dem man mehrfach daran erinnert wird, wie gut die Akustik des Bayreuther Festspielhauses ist. Warum das? Weil man ihn dort viel besser hört.

Der Lohengrin von David Butt Philip ist solide, stimmlich etwas eindimensional. Man muss ja nicht immer an große Vorbilder denken, etwa an Piotr Beczala, der diesmal als Gast in der Direktionsloge saß. Vielleicht aber doch.

Beczala hatte mit dieser Partie unter Thielemann (und an der Seite von Anna Netrebko) in Dresden debütiert, wurde auch in Bayreuth (im Bühnenbild von Neo Rauch) als Lohengrin bejubelt, ebenso in einer Neuproduktion der New Yorker MET gefeiert und zuletzt bei einer Premiere in Paris, inszeniert von Kirill Serebrennikow. Der russische Regisseur hatte dort das Wagner-Werk als Abrechnung mit dem Krieg und mit Heldentum genützt, phänomenal und intensiv. In Wien fragt man sich, ob diese „Heil“-Rufe von hundert Choristen heute wirklich ohne jede Distanzierung funktionieren. Und da ist nicht von einer Zerschlagung des Werkes die Rede, sondern von einem sinnvollen, wahrscheinlich nötigen Kommentar.

Ja, immer der Ärger mit „Lohengrin“.

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