Angriffe auf Politiker: Die Polizei, der Freund und Helfer

In Hessen mussten Politik und Sicherheitsbehörden schmerzvoll lernen, dass es absolute Sicherheit zwar nicht geben kann, aber trotzdem mehr für den Schutz von Politikern getan werden muss. Der Mord an Walter Lübcke löste 2019 einen Schock aus. Der CDU-Politiker, der auf seiner Terrasse aus nächster Nähe von einem Rechtsextremisten erschossen wurde, galt als „einer von uns“, wie Landespolitiker immer wieder sagten. Bevor er 2009 Regierungspräsident von Kassel wurde, gehörte er zehn Jahre lang dem Landtag an.

Ein führender CDU-Politiker spürte in den Monaten nach dem Mord eine gewisse Unsicherheit. Sich offen darüber äußern wollte er nicht, auch um Extremisten nicht die Genugtuung zu geben. Aber ihm wurde bewusst: „Es könnte jeden von uns treffen.“ Der heutige hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) nennt den Mord eine „Zäsur“. Er stehe beispielhaft dafür, „dass auf Worten oft Taten folgen. Wer Hass sät, erntet Gewalt“, sagte Poseck der F.A.Z. Lübcke hatte sich während einer Veranstaltung zur Unterbringung von Flüchtlingen deutlich gegen Hetzer geäußert – und so den Hass seines späteren Mörders auf sich gezogen.

Es ist kein Geheimnis, dass neben dem Ministerpräsidenten nur sehr wenige Landespolitiker dauerhaften Personenschutz haben. In Hessen wurde, auch als Konsequenz aus dem Fall Lübcke, ein „Gefährdungslagemanagement für Amts- und Mandatsträger“ beim Landeskriminalamt eingeführt, das es inzwischen in vielen anderen Bundesländern in ähnlicher Form gibt. Unter Beteiligung des Landesamtes für Verfassungsschutz sammeln Ermittler Hinweise auf mögliche Bedrohungen. Das können Schmierereien auf der Straße sein, die Beamten aufgefallen sind, oder aber Hasskommentare im Netz. Beim hessischen Verfassungsschutz wurden die Abteilung Rechtsextremismus und die Kapazitäten zur Verfolgung von Bedrohungen im Internet ausgebaut. Beides Konsequenzen aus dem Fall Lübcke, in dem der Behörde ein deutliches Versagen durch einen Untersuchungsausschuss bescheinigt wurde.

„Wir sind an der Grenze des Machbaren“

Verschärft sich die Bedrohungslage etwa im Wahlkampf, schickt das zuständige Polizeipräsidium mehr Beamte. Gleichwohl sagte der hessische Innenminister Roman Poseck: „Die Polizei kann nicht jeden Wahlkampfstand oder jeden Wahlkämpfer bewachen, aber gemeinsam lassen sich wirksame Maßnahmen treffen.“

In Hessen werden Personen, für die eine Bedrohung erkannt wird, persönlich kontaktiert und sie können mit einem Ansprechpartner bei der Polizei im Austausch bleiben. Die Angriffe auf Amts- und Mandatsträger nehmen bundesweit zu. In Hessen lag der Anstieg von 2022 im Vergleich zu 2023 bei 72 Prozent. Poseck nennt es als Ziel der Beratungen der Innenminister, die „Gewaltspirale“ zu durchbrechen. „Wir müssen diejenigen wirksam schützen, die sich für unsere Demokratie engagieren.“

Nachdem am Wochenende die Erschütterung über den Angriff in Dresden gegen den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke im Vordergrund stand, geht es nun um die Frage, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Darüber will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an diesem Dienstagabend mit den Innenministern der Länder beraten.

Kleine und größere Themen sind im Gespräch. Etwa eine Melderechtsänderung, damit die Adressen von Kandidaten nicht mehr allzu leicht herauszufinden sind. Außerdem zeigt sich Faeser offen für eine Strafverschärfung – die müssten aber die Justizminister beschließen. Das größte Thema dürfte die Polizeipräsenz werden, um Politiker und Helfer an Wahlkampfständen und während Veranstaltungen zu schützen. Eine erhöhte Polizeipräsenz fordert Faeser schon jetzt.

Nun ist es leicht, mehr Polizei zu fordern. Und deswegen stimmt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Faeser auch erst einmal zu: „Natürlich ist es möglich, mehr sichtbare Polizeipräsenz auf die Straße zu bringen. Und das zeigt auch einen entsprechenden Effekt“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Jochen Kopelke der F.A.Z. „Die Menschen wollen mehr Polizei.“ Doch dann holt er gegen Faeser aus: „Wir sind an der Grenze des Machbaren.“ Kopelke fordert ein „Sicherheitspaket für die Demokratie“. Die Gewerkschaft der Polizei, die etwa 200.000 Mitglieder hat, wolle mehr Personal und auch Strafrechtsverschärfungen. Außerdem müsse die Polizei besseren Zugriff auf Daten bekommen, um Verabredungen zu solchen Taten frühzeitig aufdecken zu können.

Lindners Sparplan in der Kritik

Für den Schutz von Wahlkämpfern in den Kommunen sind die Landespolizeien zuständig, die nicht in das Ressort von Innenministerin Faeser fallen. Die sieht deswegen auch die Länder in der Pflicht. Allerdings unterstützt die Bundespolizei, die zu Faeser gehört, die Landespolizeien regelmäßig. Zuletzt etwa am 1. Mai in Berlin mit 800 Beamten. In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, warum sich Faeser gegen die Einsparforderungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) stellt. Eine Milliarde Euro soll gekürzt werden.

Bei der inneren Sicherheit könne man aber nicht sparen, sagt die Ministerin. In dem Entwurf eines Briefs an Lindner, der aber nicht an ihn verschickt wurde, zählt Faeser mehrere Beispiele auf, für die sie eigentlich mehr statt weniger Geld brauche, darunter Integrationskurse und Mittel für die Bundespolizei, die an den Grenzen Deutschlands verstärkt kontrolliere, damit die Asylbewerberzahlen zurückgehen. Tatsächlich hat die Bundespolizei im vergangenen Jahr gut tausend Stellen zusätzlich bekommen.

Dennoch würden schon jetzt 500 Millionen Euro für die 54.000 Beamten der Bundespolizei fehlen, sagte Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, die 100.000 Mitglieder hat. „Jetzt wäre es höchste Zeit, dass Frau Faeser die Kürzung im Haushalt der Bundespolizei sofort rückgängig machen lässt, sie lässt diesbezüglich jedes Engagement vermissen. Allein mit starken Sprüchen und Forderungen wird es nicht mehr Sicherheit geben“, sagte Wendt der F.A.Z.

Auch Innenpolitiker der Ampel empören sich über Lindners Sparvorgaben. Zuletzt hatte es aus der SPD-Fraktion sogar die Forderung nach einem neuen Sondervermögen für die innere Sicherheit gegeben. Nun dürfte der Druck auf Lindner steigen. „Aus Worten werden Taten“, sagte der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann der F.A.Z. Die Sicherheitsbehörden müssten besser ausgestattet werden – „vor allem mit Blick auf die Digitalisierung und die zunehmende Radikalisierung im Netz“. Sowohl islamistische Strukturen als auch die extreme Rechte nutzten den oftmals rechtsfreien Raum im Internet. „Es beginnt oft im Netz.“

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