Österreichs Wirtschaft „auf tönernen Füßen“

Im Rahmen des „Deloitte Radar 2024“ wurden rund 600 heimische Führungskräfte befragt, beklagt wurden dabei insbesondere hohe Besteuerung, überbordende Bürokratie und ein Mangel an Fachkräften. Vor allem die Senkung der Einkommen- und Mehrwertsteuer sowie der Lohnnebenkosten hat laut Umfrage für die Wirtschaft höchste Priorität.

Steuerschritte nach unten dürften nicht nur kosmetisch sein, sondern sollten sich in einer Größenordnung von fünf Prozentpunkten bewegen, forderte Herbert Kovar, Managing Partner im Bereich Tax & Legal bei Deloitte Österreich. „Wir stehen mit anderen Ländern in starkem Wettbewerb um Arbeitskräfte, und da müssen wir die Nase vorne haben, sonst kommen sie nicht“, sagte Kovar.

Im globalen Wettbewerb bestenfalls im Mittelfeld

Auch in internationalen Rankings sei Österreich zuletzt zurückgefallen, etwa im „World Competitiveness Ranking“ habe der Wirtschaftsstandort deutlich eingebüßt, sagte Deloitte-Österreich-Chef Harald Breit am Montag bei einem Pressegespräch. Während Österreich 2008 noch auf Platz 14 lag, reichte es 2023 nur mehr für Platz 24.

„Österreich liegt im globalen Wettbewerb bestenfalls im Mittelfeld und hat in den letzten Jahren zunehmend an Attraktivität und Konkurrenzfähigkeit verloren. Vergleichbare europäische Länder wie Dänemark, Norwegen, die Schweiz oder Schweden sind längst davongezogen. Dieser schleichende Abwärtstrend muss dringend umgekehrt werden“, sagte Breit.

Der Unternehmensberater empfiehlt daher die Senkung der Einkommen- und Mehrwertsteuer sowie der Lohnnebenkosten, eine Vereinfachung der Bürokratie, einen Ausbau der Betreuungsangebote für Kleinkinder, erleichterte Zuverdienstmöglichkeiten für Pensionistinnen und Pensionisten sowie einen schnelleren Arbeitsmarktzugang und eine Qualifizierungsoffensive für Menschen mit Migrationshintergrund.

„Fokus aus den Augen verloren“

Um zum europäischen Spitzenfeld aufschließen zu können, seien außerdem gezielte Investitionen in die großen Zukunftsfelder vonnöten – vor allem in die Energiewende und die digitale Transformation. Eine Stärkung der Forschung und Lehre im Bereich digitaler Technologien würde die Innovationskraft fördern.

Zusammenfassend heißt es in der Studie: „Es stimmt, wir sind erfolgreich, und es geht uns relativ gut. Aber der Erfolg steht auf tönernen Füßen, die Wirtschaft wächst deutlich schwächer als in vergleichbaren europäischen Ländern. Viele dieser Standorte sind innovativer, effizienter, moderner und erfolgreicher. (…) Österreich lebt heute vielfach von seinen Erfolgen aus der Vergangenheit und hat den Fokus aus den Augen verloren.“

Ausländische Investitionen deutlich rückläufig

Dass Anstrengungen notwendig sein werden, zeigt auch eine in der Vorwoche publizierte Erhebung des US-Beratungsunternehmens EY. Demnach gingen die ausländischen Investitionen in Österreich im Vorjahr um über 20 Prozent zurück und pendelten sich bei nur mehr 80 Projekten ein. Einen Investitionszuwachs gab es zuletzt 2021. Wichtigste Herkunftsländer für Investitionen sind Deutschland, die Schweiz und die USA.

„Österreich sollte dringend an einigen Stellschrauben drehen, um ein starker und wettbewerbsfähiger Standort zu bleiben und Auslandsinvestoren nicht nachhaltig an andere Destinationen zu verlieren“, warnte Gunther Reimoser, Country Managing Partner von EY Österreich. Das Land habe auf der Kostenseite deutlich an Attraktivität eingebüßt – gerade für Industrieunternehmen. Und bei Forschung, Entwicklung und digitalen Innovationen seien andere Standorte besser aufgestellt.

Hamburg

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Wirtschaftsprofessoren und -professorinnen stellen dem Standort Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus

„Besorgniserregend schlechte“ Lage in Deutschland

Österreich steht mit der Negativentwicklung nicht allein da, auch beim deutschen Nachbarn ist die wirtschaftliche Stimmung denkbar schlecht. In einer am Freitag veröffentlichten Umfrage des Münchner ifo Instituts bewerteten 180 Professorinnen und Professoren der Volkswirtschaftslehre den Standort Deutschland im Schnitt mit der Schulnote 3,4. „Dieses Ergebnis ist für die Industrienation Deutschland besorgniserregend schlecht“, sagte der Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie, Niklas Potrafke.

In neun von 13 erhobenen Kategorien sahen die befragten Fachleute häufiger eine Schwäche als eine Stärke Deutschlands im internationalen Vergleich. Bei Regulierung und Bürokratie sprachen 87 Prozent von einer Schwäche, bei Energie und Rohstoffen 74 Prozent und beim Thema Digitalisierung 67 Prozent. Auch Lohnnebenkosten, Steuern und Infrastruktur wurden häufig negativ bewertet. Das Lohnniveau in Deutschland spielte in der Befragung dagegen keine besondere Rolle, rund drei Viertel der Ökonomen bewerteten es als neutral.

„Damit es dem Wirtschaftsstandort Deutschland besser geht, werden Reformen benötigt“, sagte Potrafke. „Dazu zählen der Bürokratieabbau, mehr öffentliche Investitionen in die Infrastruktur und Digitalisierung sowie die Anpassung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung.“

„Wirtschaftsstandort hat ein Problem“

Der Präsident des Münchner ifo Instituts, Clemens Fuest, legte am Montag nach: „Der Wirtschaftsstandort Deutschland hat ein Problem“, sagte er dem Sender Phoenix. Nicht nur teure Energie belaste die Unternehmen, sondern auch fehlende Fachkräfte und bürokratische Hürden. „Wir müssen unser Steuer- und Transfersystem ändern und die Kinderbetreuung verbessern. Und Arbeit muss sich natürlich lohnen“, forderte Fuest. Auch gelte es, das Klima für Firmengründungen zu verbessern. Der ifo-Chef zeigte sich jedoch skeptisch: Es falle auf, dass die „Ampelkoalition“ bisher keine einheitliche Strategie entwickeln konnte.

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