Inseln in der Ägäis – Erdogan will die Türkei erweitern

Die Türkei im Ausnahmezustand: Weitere oppositionelle Medien werden geschlossen, die Unis weiter gesäubert, die Todesstrafe soll kommen. Dann meldet der Präsident auch noch Gebietsansprüche an.

So ein Ausnahmezustand ist schon praktisch: Gerade einmal zehn Tage ist es her, dass sich der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan über das Verfahren zur Besetzung von Universitätspräsidenten ausließ. Dass dem eine Wahl zugrunde liege, führe nur zu „Chaos“, „Gruppenbildung“ und „Kränkungen“, sagte er bei der feierlichen Eröffnung des Wintersemesters, für die er die amtierenden Hochschulleiter in seinen Palast nach Ankara geladen hatte. Am Samstagabend wurde ein neues Notstandsdekret bekannt, mit dem Erdogans Wunsch Gesetz wird: Die Wahl entfällt künftig.

Bislang sah das Verfahren an staatlichen Universitäten so aus: Die akademischen Mitarbeiter wählen sechs geeignete Bewerber. Die Hochschulaufsicht reduzierte diese Liste auf drei Vorschläge, unter denen der Staatspräsident einen auswählt. In der Vergangenheit hatte Erdogan immer wieder Kandidaten, welche die meisten Stimmen erhalten hatten, übergangen. Diese Wahl ist nun abgeschafft; künftig soll die Hochschulaufsicht drei Kandidaten vorschlagen, unter denen der Staatspräsident einen auswählt.

Weitere Medien geschlossen

Mit einem anderen Dekret wurde die Schließung von 15 zumeist prokurdischen Medien bekannt gegeben. Betroffen sind die bereits Ende August vorläufig geschlossene Tageszeitung „Özgür Gündem“, die kurdischsprachige Tageszeitung „Azadiya Welat“, zwei Nachrichtenagenturen, zehn Lokalzeitungen und drei Zeitschriften.

Die linke Kulturzeitschrift „Evrensel Kültür“ erschien seit 1991, die sozialdemokratische Lokalzeitung „Batman Cagdas Gazetesi“ seit 1983. Nach der Schließung von – tatsächlich oder vermeintlich – Gülen-nahen Medien Ende Juli und von linken beziehungsweise prokurdischen Fernseh- und Radiosendern Ende August ist dies die dritte Welle. Damit wurden seit dem Putschversuch insgesamt 141 Medienanstalten geschlossen. Begründung: Terrorpropaganda oder „Gefährdung der nationalen Sicherheit“.

Unter den nun geschlossenen Medien ragt die Nachrichtenagentur Diha heraus. Mit ihrem weitverzweigten Korrespondentennetz in den kurdischen Gebieten war die im Jahr 2002 gegründete Agentur eine wichtige Quelle für Nachrichten aus der Region.

Von Frauen betriebene Nachrichtenagentur geschlossen

Auch wenn die Berichte von Diha nicht immer zuverlässig waren, boten sie ein Gegengewicht zu den ebenfalls nur bedingt zuverlässigen Nachrichten der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Dieses Gegengewicht entfällt nun. „Sie wollen, dass keine andere Stimme zu hören ist als ihre eigene“, sagte Ramazan Pekgöz, Leiter des Diha-Büros in Diyarbakir, der „Welt“. Derzeit sind in der Türkei 133 Journalisten und Verleger in Haft, 14 davon sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Diha.

Jinha, die zweite geschlossene Nachrichtenagentur, war ein Unikat: die einzige allein von Frauen betriebene Nachrichtenagentur der Welt. Derzeit sitzt die Jinha-Reporterin Zehra Dogan in Haft; wegen einiger Postings auf Facebook sowie Bilder, die sie während der Kämpfe in der kurdischen Kleinstadt Nusaybin gemalt hatte, wird ihr Terrorpropaganda vorgeworfen.

„Die Schließung von Jinha ist eine Folge davon, dass wir viel von den Ausgangssperren und dem Krieg in Kurdistan berichten“, sagte Sibel Yükler, Leiterin des Jinha-Hauptstadtbüros in Ankara, der „Welt“. Allerdings sei das Vorgehen gegen Jinha auch Ausdruck der „frauenfeindlichen Politik der AKP“. Die betroffenen Journalisten rechnen damit, dass in den kommenden Tagen ihre Redaktionen von der Polizei versiegelt und das Inventar beschlagnahmt wird.

Säuberungen an Universitäten

Mit einem weiteren Dekret wurde die endgültige Entlassung von rund 10.000 Angestellten des öffentlichen Dienstes bekannt gegeben. Darunter befinden sich 1267 akademische Mitarbeiter von Universitäten. Damit steigt die Zahl der seit dem Putschversuch endgültig entlassenen – nicht der vorläufig suspendierten – Akademiker auf 3613.

Alle seine 15 Kollegen, die mit ihm von der Universität Istanbul entlassen wurden, schrieb Erhan Kelesoglu, Assistenzprofessor für Internationale Beziehungen, auf Twitter, seien „oppositionelle linke Akademiker“ und Mitglieder der Bildungsgewerkschaft Egitim-Sen. Zu den entlassenen Akademikern gehören auch fünf Mitarbeiter der Deutsch-Türkischen Universität Istanbul, die gemeinsam von der Türkei und Deutschland betrieben wird.

Am Samstagnachmittag hatte Erdogan auf einer Kundgebung in Ankara gesagt: „Die Todesstrafe kommt mit Allahs Hilfe bald.“ Die Regierung werde einen entsprechenden Gesetzentwurf „bald“ ins Parlament einbringen, erklärte er vor jubelnden Anhängern. Er sei zuversichtlich, dass die Abgeordneten dem zustimmen würden. Dann würde er das Gesetz ratifizieren. „Wenn die Souveränität der Nation gehört, dann ist die Sache erledigt. Wichtig ist nicht, was der Westen sagt, wichtig ist, was mein Volk sagt.“

Todesstrafe und Gebietsansprüche

Die EU und auch die Bundesregierung haben immer wieder deutlich gemacht, dass eine Wiedereinführung der noch von der Vorgängerregierung im Jahr 2002 abgeschafften Todesstrafe ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten würde. Ministerpräsident Binali Yildirim meinte, die AKP könne die Todesstrafe nicht allein einführen. Das Parlament müsse sich darauf verständigen.

Am Samstagabend, auf einer Rede anlässlich des 93. Jahrestages der Gründung der Republik, kam Erdogan auf ein weiteres umstrittenes Thema der vergangenen Wochen zu sprechen: „Diese Inseln vor unserer Nase gehörten uns. Wir haben dort Werke, Moscheen und eine Geschichte.“

Bereits vor einigen Wochen hatte Erdogan Ismet Inönü, den türkischen Verhandlungsführer bei den Friedensverhandlungen 1923 in Lausanne und zweiten Präsidenten der Republik, beschuldigt, Inseln in der östlichen Ägäis hergegeben zu haben. Dort liegen die Dodekanes (Rhodos, Kos unter anderen, 1912 von Italien besetzt) und die nordostägäischen Inseln (Lesbos, Chios unter anderen, 1912 von Griechenland besetzt).

Nach Beginn der Militäroffensive gegen den Islamischen Staat im Irak hatte Erdogan zudem behauptet, dass ein Gebietsstreifen von Aleppo in Syrien bis Mossul und Kirkuk im Irak der Türkei gehöre.

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