Scheidungskinder sollten bei beiden Elternteilen wohnen

(Von André Anwar.)

„Nur in relativ progressiven und gebildeten Gegenden wie etwa im Berliner Stadtteil Prenzlauerberg ist das eher so“, sagt die bekannte schwedische Kinderpsychologin und Wissenschafterin Malin Bergström vom „Karolinska Institut“ in Stockholm den SN. Im emanzipierten Schweden dahingegen sei es eine Regelung, für die sich schon seit langem viel mehr geschiedene Eltern entscheiden, und dies auch in unterschiedlichen sozialen Schichten. Dementsprechend ist es kein Wunder, dass in Schweden viel darüber geforscht wird, wie es diesen Scheidungskindern geht.

In einer gerade veröffentlichten Studie hat Bergström 3656 Kindergartenkinder zwischen drei und fünf Jahren untersucht und je nach Wohngruppe verglichen. Bei der regelmäßigen Beobachtung der Kinder durch Eltern und unabhängige Pädagogen zeigte sich, dass es den Scheidungskindern, die wechselweise wohnen, deutlich besser geht als Scheidungskindern, die bei nur einem Elternteil wohnen.

Erstaunlicherweise ergab die vergleichende Studie auch, dass es den wechselweise wohnenden Scheidungskindern genau so gut oder fast so gut geht wie Kindern, deren Eltern nicht geschieden sind. Dies, obwohl für die beobachteten Kinder die Scheidung unmittelbar zurücklag. „Unsere Studie ist die erste weltweit für so junge Scheidungskinder“, sagt Bergström.

Für Studie tausende Scheidungskinder untersucht

Bergström und ihr Team haben schon zuvor umfangreiche Studien zu Scheidungskindern durchgeführt, in denen etwa Schulkinder zwischen zehn und 18 Jahren verglichen wurden. Auch dort gehen die Ergebnisse in die gleiche Richtung. Wechselweises Wohnen ist demnach auch in höheren Altersgruppen am besten für Scheidungskinder. Auch bei den älteren Kindern ergaben einige Studien, dass es den wechselweise wohnenden Kindern genau so gut geht wie Kernfamilienkindern. Andere ergaben dahingegen, dass es diesen Kindern immerhin fast so gut geht wie Kernfamilienkindern und stets viel besser als denen, die hauptsächlich bei nur einem Elternteil aufwachsen.

Auch der Soziologe Jani Turunen von der Universität Stockholm kommt in einer gerade veröffentlichten Studie zu ähnlichen Ergebnissen. In seiner Untersuchung wurden 807 Kinder berücksichtigt. Die Studie ergibt sogar, dass wechselweises Wohnen für Scheidungskinder auch dann noch besser ist, als nur bei einem Elternteil zu bleiben, wenn die getrennten Eltern sich viel streiten oder das Kind mit einem der Elternteile nicht so richtig gut zurechtkommt.

Warum wechselweises Wohnen für Scheidungskinder besser ist, darüber gibt es viele Vermutungen. Zum einen gehe es den Eltern dabei besser, weil sie sich die psychische, finanzielle und zeitliche Last teilten, so Bergström. Die Kinder haben zudem nicht das Gefühl, von einem Elternteil verlassen zu werden.

Kontinuierliche Beziehung fördert Selbstbewusstsein

Die Scheidung schlägt weniger auf das Selbstbewusstsein der Kinder. „Für das Wohlbefinden der Scheidungskinder ist es nicht wichtig, immer am gleichen Ort zu wohnen. Wichtig ist die tiefe, kontinuierliche Beziehung zu beiden Eltern im Alltag, und nicht nur bei kurzen Wochenendtreffen mit einem der Elternteile. Da kann die Beziehung schnell äußerlich werden“, sagt sie. „Gerade bei kleinen Kindern, die sich sehr schnell weiterentwickeln, verliert der nicht mit ihnen wohnende Elternteil schnell den wirklichen, tieferen Anschluss.“

Bergström kritisiert, dass wechselweises Wohnen von Scheidungskindern außerhalb von Schweden noch immer eher ungewöhnlich ist. „Natürlich muss man immer individuell entscheiden, Wissenschafter gehen von Durchschnitten aus. Alle sich trennenden Eltern müssen auf ihre spezielle Situation und die Eigenarten ihrer Kinder achten, bevor sie sich entscheiden, wie die Kinder wohnen sollen“, erklärt Kinderpsychologin Bergström. Dennoch sollten geschiedene Eltern das wechselweise Wohnen erwägen.

Wie sollte man es dem Kind sagen? Nach der Entscheidung zur Trennung sollte man offen sprechen, so Kinderpsychologin Bergström. Dabei sei es wichtig, ehrlich zu sein, ohne dem Kind zu viele belastende Einzelheiten mitzuteilen. Die Wut für den Partner sollte man dem Kind nicht zeigen. Dazu sind Freunde da. Wichtig sei dem Kind zu vermitteln, dass es nicht die Schuld an der Trennung seiner Eltern trägt.

(Bild: Für das Selbstbewusstsein von Scheidungskindern ist eine kontinuierliche Beziehung zu beiden Elternteilen wichtig. Bild: SN/izina/stock.adobe.com)

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