Forscher warnen vor Hitze-Opfern, verschweigen aber gute Nachrichten

Der Klimawandel kennt nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner: Mücken, die Malaria übertragen, profitieren beispielsweise in einigen Weltregionen von der Erderwärmung und können sich in höhere Lagen ausbreiten. Das trifft vor allem die ärmsten Länder, hat eine internationale Forschungsgruppe ermittelt. Die Mücken sind dabei nur ein Detail: Die Wissenschaftler untersuchten, wie sich der Klimawandel auf die Gesundheit der Menschen weltweit auswirkt. Es ist der sechste Jahresbericht, den das medizinische Fachjournal Lancet unter dem Namen „Lancet Countdown“ veröffentlicht hat.

„Der Klimawandel ist da, und wir sehen bereits jetzt weltweit seine schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit“, sagt Prof. Anthony Costello, Executive Director des Lancet Countdown. Vor allem geht es um die direkten Auswirkungen der zunehmenden Hitze, die vor allem älteren Menschen mit Vorerkrankungen zu schaffen machen. 2020 waren Erwachsene über 65 Jahre an 3,1 Milliarden mehr Tagen gegenüber Hitzewellen ausgesetzt als während der durchschnittlichen Referenzperiode 1986-2005. Am stärksten betroffen waren davon chinesische, indische, amerikanische, japanische und indonesische Senioren, schreiben die 86 Wissenschaftler.

Doch was bedeutet das konkret? Um gut ein Grad hat sich die Welt durchschnittlich erwärmt seit der Industrialisierung. Mit der Durchschnittstemperatur haben sich die Extremwerte erhöht, immer häufiger melden Meteorologen Rekordtemperaturen. Im Jahr 2020 sind laut dem Lancet-Report 345.000 Menschen an Hitze gestorben. Was der Bericht allerdings nicht erwähnt: Gleichzeitig werden Kälteextreme weniger, an denen rund fünf Millionen Menschen jährlich zum Opfer fallen.

Quelle: Infografik WELT

In einer anderen Lancet-Studie, die bereits im Juli erschienen ist, wird dieses Verhältnis genauer beleuchtet. Die Zahl der Hitzetoten ist demnach von 2000-2003 bis 2016-2019 um 0,2 Prozent gestiegen, die weit größere Zahl der Kältetoten aber um 0,51 Prozent gesunken. Das heißt: Bislang reduziert der Klimawandel die Zahl der Todesfälle durch extreme Temperaturen. Im aktuellen „Lancet Countdown“ bleibt das unerwähnt.

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Schutz gegen Extremtemperaturen ist lebenswichtig. Beheizte Räume beugen dem Kältetod vor. Eine Studie des „National Bureau of Economic Research“ in den USA rechnet vor, dass selbst in Industriestaaten günstige Energiepreise jährlich Tausende Menschenleben retten können. Ähnliches gilt für Hitze: In heißen Ländern mit guter Ausstattung an Klimaanlagen stirbt kaum durch zu hohe Temperaturen, während das Risiko in armen Ländern beträchtlich sein kann. Selbst in Afrika spielten Klimaänderungen im Vergleich zu anderen Faktoren eine untergeordnete Rolle bei Wetterrisiken, berichten Forscher im Fachblatt „Earth Future“ – entscheidend wäre, ob sich Menschen dem Wetter aussetzen müssten, oder ob sie sich schützen könnten. Der Weltgesundheitsbehörde WHO zufolge sind sämtliche Hitzetote vermeidbar.

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So weit ist es noch lange nicht. Gefährlich ist die zunehmende Hitze vor allem für arme Länder ohne flächendeckende Ausstattung mit Klimaanlagen. Studien zeigen, dass zum Beispiel Ortschaften in Südasien in den vergangenen Jahren immer häufiger lebensfeindliches Wetter erlebt haben. Bei schwülheißer Witterung kann der menschliche Körper angesichts der hohen Luftfeuchtigkeit selbst durch Schwitzen keine Wärme mehr abführen – er überhitzt. Ohne Schutz besteht Lebensgefahr.

Die Auswirkungen des wärmeren Klimas können aber auch subtiler sein. Hohe Temperaturen bedeuteten, dass die Menschen weniger Sport treiben, schreiben die Lancet-Autoren. Zugleich ist Sport, sofern bei Hitze betrieben, mit Gesundheitsrisiken verbunden. Gemessen wird der Effekt anhand der Zahl der Stunden, in denen ein Mensch nicht ohne Gesundheitsrisiko durch zu hohe Temperaturen Sport treiben kann. Er ist besonders ausgeprägt in den ärmsten Ländern: Hier stieg die Zahl Stunden von 2,5 Stunden am Tag und Person auf 3,7 Stunden. Ähnlich verhält es sich mit der verlorenen Arbeitskraft.

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Wie wenig bedeutsam manche der Indikatoren aus dem Lancet-Report sein können, zeigt allerdings das Beispiel Infektionskrankheiten, die durch Mücken übertragen werden. Die Autoren haben errechnet, dass die Zahl der Monate, in denen solche Mücken klimatisch günstige Bedingungen für eine Verbreitung haben, zugenommen hat. Insbesondere die Mücken, die Malaria übertragen, haben in armen Ländern oberhalb von 1500 Höhenmetern im Vergleich zu den 1950er-Jahren um 39 Prozent bessere Bedingungen, betonen die Autoren. Was aber wiederum unerwähnt bleibt: Die Zahl der Malariatoten ist weltweit dennoch in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, genauso die Zahl der Infektionskrankheiten insgesamt.

Extremwetter habe in den vergangenen 30 Jahren weltweit zugenommen, berichtet der „Lancet“-Report. In ärmeren Ländern hätten die Ereignisse deshalb mehr Menschen betroffen. Selbst dort sind die Opferzahlen bei Extremwetter aber drastisch zurückgegangen. Im Vergleich zu vor hundert Jahren kommt nur noch ein Zehntel der Menschen durch Extremwetter ums Leben – und das, obwohl sich die Weltbevölkerung seither fast vervierfacht hat.

Mit Ausnahme von Hitzewellen hatten sämtliche Arten von Wetterkatastrophen weitaus weniger Wirkung als früher, berichtet eine Studie im Fachblatt „Global Environmental Change“. In armen Ländern wäre die Entwicklung besonders positiv verlaufen. Je wohlhabender ein Land werde, desto besser könne es sich schützen.

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Fortschreitender Klimawandel aber verschärfe in Zukunft mancherorts das Risiko für Dürre, Starkregen, Fluten und Hitze, betont der „Lancet“-Report. In den heißen Sommern 2006 und 2015 sind in Deutschland jeweils rund 6000 Menschen an Hitze gestorben. Selbst im vergleichsweise kühlen Sommer 2020 waren es noch rund 4000. Und in künftigen Hitzewellen, die mit großer Wahrscheinlichkeit noch heftiger ausfallen werden, könnten es zu noch mehr Todesfällen kommen – Todesfälle, die eigentlich vermeidbar wären.

„Es trifft vor allem Menschen mit Risikofaktoren“, sagt Martin Herrmann, Vorsitzender der „Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit“ (KLUG). Vor allem seien es ältere, vorerkrankte und allein lebende Menschen, für die die Sommerhitze tödlich werden kann. „Das Blut fließt zur Kühlung in die Körperperipherie, letztlich können verschiedene Organsysteme versagen“, sagt der Mediziner. Ärzte, die in Deutschland oft nicht speziell geschult seien, würden die Hitze als Todesursache oft übersehen. Die Fälle werden erst offenbar, wenn Statistiker die Übersterblichkeit analysieren, die mit Rekordtemperaturen zusammenfällt.

Martin Herrmann hat zusammen mit Kollegen und weiteren Wissenschaftlern die Situation in Deutschland analysiert. Das Fazit in „Lancet“ lautet: Zwar gibt es inzwischen eine erhöhte Sensibilität für das Problem, aber noch immer zu wenig konkrete Maßnahmen „Oft fühlt sich niemand verantwortlich“, sagt Herrmann. „Der Schutz vor Flutkatastrophen ist in Deutschland vergleichsweise besser aufgestellt als der Hitzeschutz – obwohl viel mehr Menschen an Hitze als an Hochwasser sterben.“

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So mangele es zum Beispiel an Notfallplänen, die die Kommunen rasch umsetzen können – etwa, um die Risikogruppen zu kontaktieren oder kühlere Räume für Menschen in Pflegeheimen bereitzuhalten. Auch längerfristige Konzepte seien noch rar, sagt Herrmann: „Es werden noch immer Krankenhäuser gebaut, in denen die Patienten an heißen Tagen bei 32 bis 34 Grad Zimmertemperatur in ihren Betten liegen müssen.“ Dasselbe gelte auch für Schulen und Behörden.

Ein massiver Einsatz von herkömmlichen Klimaanlagen wäre dabei laut Herrmann auch problematisch: „Herkömmliche Klimaanlagen erzeugen insgesamt Wärme und können, wenn sie in großer Zahl eingesetzt werden, die Stadt weiter aufheizen.“. Geeignetere Gegenmittel wären innovative Kühltechniken auf Basis von Wärmepumpen, Jalousien, Begrünung und das Vermeiden von Hitzeinseln in den Städten durch städtebauliche Maßnahmen.

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Die globale Erwärmung erhöht Gesundheitsrisiken. Wer aber allein auf die Analyse der Klima-Auswirkungen blickt, übersieht eine größere Veränderung, die nur selten kommuniziert wird: In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind die Menschen dank verbesserter Gesundheitssysteme und wachsendem Wohlstand immer gesünder geworden.

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Ablesen kann man das an der steigenden Lebenserwartung auf allen Kontinenten. In Europa ist die Lebenserwartung zum Beispiel seit 1980 von 71,3 auf 78,6 Jahre angestiegen, in Afrika von 49.9 auf 63,2. Die Menschheit scheint also so gesund und lang wie nie zuvor zu leben. Die Klimaerwärmung könnte diese positive Entwicklung allerdings in Zukunft bremsen.

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