„Politik ist blind, was Strukturen und Hintermänner der Organisierten Kriminalität angeht“

Am frühen Mittwochmorgen, noch vor Sonnenaufgang, schlugen die Ermittler zu. Europaweit rückten Sicherheitskräfte aus, um gegen Mitglieder der Mafia-Organisation ’Ndrangheta vorzugehen. 150 Objekte wurden in acht Ländern durchsucht und allein in Deutschland 30 Haftbefehle vollstreckt. Bei der „Operation Eureka“ arbeiteten staatliche Stellen Hand in Hand mit der europäischen Polizeibehörde Europol und der Justizbehörde Eurojust.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zufolge wurde der ’Ndrangheta mit der Großrazzia „ein empfindlicher Schlag versetzt“. Der Einsatz sei „eine der größten bislang durchgeführten Operationen im Kampf gegen die italienische organisierte Kriminalität“ gewesen. Die Sicherheitsbehörden hätten bereits dafür gesorgt, „dass der Druck auf die organisierte Kriminalität in Deutschland heute so hoch ist wie noch nie“.

Zahl der Tatverdächtigen hatte sich seit 2021 mehr als verdoppelt

Nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes ist die ’Ndrangheta in Deutschland die dominierende Gruppierung der Italienischen Organisierten Kriminalität (IOK). „Entsprechende Strukturen sind historisch gewachsen und verfestigt, woraus sich eine besondere Gefährdung ergibt“, teilte das BKA auf Anfrage von WELT mit.

Bei allen Gruppierungen der italienischen Mafia zusammen rechnet das BKA mit bundesweit insgesamt rund 1000 Mitgliedern. „Schwerpunkte der Präsenz bilden die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern“, so das BKA. Zuletzt war die Anzahl der Verfahren gegen IOK stark angestiegen, die Zahl der Tatverdächtigen hatte sich 2021 mehr als verdoppelt.

Laut BKA wird Deutschland von der italienischen Mafia hauptsächlich in den Bereichen der Rauschgift-, Fälschungs-, Eigentums- und Wirtschaftskriminalität „als Aktionsraum genutzt“. Außerdem diene die Bundesrepublik als „Flucht-, Ruhe-, Rückzugs- und Investitionsraum“. Die Gruppierung verfügt bereits seit den 70er Jahren über fest verwurzelte Strukturen im Land. Es existieren Stützpunkte, sogenannte „locale“, die als Basis für kriminelle Handlungen dienen. Innerhalb dieser Struktur arbeiten teilweise auch verschiedene Clans zusammen.

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Sächsischer Staatsschatz

„Die Bundesregierung geht aktuell von mindestens 18 bis 20 Stützpunkten bundesweit aus“, wurde der Grünen-Bundestagsfraktion 2019 mitgeteilt: „Da einem einzelnen Stützpunkt bis zu 50 Mitglieder zugerechnet werden können, ist von einem erheblichen Dunkelfeld bei den Mitgliederzahlen auszugehen.“ Sicherheitsbehörden hatten in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass Machenschaften der Mafia keineswegs an Bedeutung verloren hätten, auch wenn sie meist unauffälliger agierten als islamistische Terrorgruppen oder rechtsextremistische Täter – und weniger im medialen Fokus stehen.

BDK-Landesvorsitzender Jan Reinecke kritisiert Passivität der Politik

Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in Hamburg, kritisiert die Passivität der Politik seit Langem. WELT sagte er, man sei „blind, was die Strukturen und Hintermänner der Organisierten Kriminalität angeht, weil die begrenzten Ressourcen bereits in der täglichen Alltagsarbeit der Kriminalpolizei aufgebraucht werden“.

Erfolgreiche Razzien gegen die ’Ndrangheta gebe es in Deutschland nur, wenn italienische Gerichte Haftbefehle ausstellen, die hier vollstreckt werden: „Und die Italiener arbeiten ungern mit uns zusammen.“ Dies liege am Datenschutz, der OK-Untersuchungen beinahe unmögliche mache und einer Politik – wie in Hamburg, „die die Gefahr durch Organisierte Kriminalität schlichtweg nicht ernst nimmt oder ernst nehmen will“.

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Kriminelle Banden

Der Mafia-Experte Sandro Mattioli sagte WELT, dass die italienische Mafia in Deutschland von Politik und Wirtschaft systematisch unterschätzt werde. Zudem werde die Mafia zu oft glorifiziert. „In Filmen wird häufig ein Bild gezeichnet, dass nicht stimmt“, so Mattioli. Von Razzien wie jener am Mittwoch gehe die wichtige Signalwirkung aus, dass es keine Rückzugsräume gebe. Weitere staatliche Aktionen müssten nun folgen.

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Quelle: AFP, AFP/ AFP/ Saul Loeb

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