Die globale Mafia und ihre Eisdiele in Siegen

Ingo Wünsch, der Direktor des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen, ist bester Laune, als er über die Ergebnisse der europäische Großrazzia gegen die Mafiaorganisation ‚Ndrangheta berichtet. Dass man so viele mutmaßliche Mafiosi dingfest habe machen können, sei das Ergebnis erfolgreicher europäischer Zusammenarbeit verschiedener nationaler Ermittlungsbehörden und europäischer Institutionen. Der Fall beweise, dass Ausdauer und Geduld, vertrauensvolles Zusammenwirken das Erfolgsrezept im Kampf gegen Kriminalität seien.

Reiner Burger

Politischer Korrespondent in Nordrhein-Westfalen.

In Deutschland waren an der Razzia Ermittler in Bayern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Thüringen beteiligt. Dass aber Nordrhein-Westfalen bei der Vorbereitung und Koordinierung der Großrazzia auf deutscher Seite eine besondere Rolle spielte, macht schon der Umstand deutlich, dass die einzige Pressekonferenz in Deutschland dazu am Mittwochnachmittag im Landeskriminalamt Düsseldorf stattfindet. Nordrhein-Westfalen sei „leider ein allzu gutes Betätigungsfeld“ für die Mafia, sagt Landesinnenminister Herbert Reul (CDU). „Hier gibt es nämlich eine starke Wirtschaft und Infrastruktur, das nutzen leider auch Kriminelle für ihre Investitionen – und man ist schnell in den Häfen in den Niederlanden, da, wo das Kokain ankommt.“

Bei der Großrazzia durchsuchten 500 Einsatzkräfte in Nordrhein-Westfalen insgesamt 51 Häuser, Wohnungen, Büros und Geschäfte, zudem vier Objekte in Thüringen, und vollstreckten 18 Haftbefehle. Ausgangspunkte für die europäische Großrazzia waren Erkenntnisse der italienischen Mafia-Fahnder und von Ermittlern aus Belgien. Nach dem Namen der belgischen Ermittlungsgruppe Eureka wurde auch die gesamte europäische Großaktion benannt.

Kaum zu findende Verstecke in den Fahrzeugen

Im Fokus der nordrhein-westfälischen Ermittler steht zum einen eine Gruppe von sieben Beschuldigten, denen vorgeworfen wird, auf Geheiß eines ranghohen Mitglieds der ‚Ndrangheta aus San Luca ein Eiscafé in Siegen betrieben zu haben. Die italienischen Ermittler sind überzeugt, dass der 36 Jahre alte Mann führender Kopf im internationalen Kokainhandel ist. Er soll wie ein weiterer Beschuldigter Teile des Erlöses aus dem Rauschgifthandel in die Siegener Eisdiele investiert haben.

Festnahme: Am frühen Morgen wird ein Verdächtiger aus einem Wohnhaus in Hagen geführt.

Festnahme: Am frühen Morgen wird ein Verdächtiger aus einem Wohnhaus in Hagen geführt. : Bild: AFP

In dem Eiscafé, an dem mehrere Personen aus Kalabrien wirtschaftlich beteiligt waren, sollen nicht nur Gewinne aus illegalen Betäubungsmittelgeschäften gewaschen worden sein. Es diente wohl auch als Logistikstützpunkt für die ‚Ndrangheta in Nordrhein-Westfalen und als Unterschlupf für Bandenmitglieder, die mit europäischen Haftbefehl gesucht wurden. „Um die inkriminierte Herkunft des Geldes und den wahren Geldgeber zu verschleiern, gründete der 36 Jahre alte italienische Beschuldigte offiziell eine GmbH und betrieb das Eiscafé gemeinsam mit seinem 38 Jahre alten Bruder“, so die Ermittler. Zudem gebe es Hinweise, dass aus der Eisdiele auch Geld zurück ins Kernland der kalabrischen Mafia geflossen ist. Auffällig sei auch, dass alle Mitarbeiter der Eisdiele in Siegen aus Kalabrien stammten und miteinander verwandt oder verschwägert sind.

„Verdammt gute Arbeit“

Als weiteren Hauptbeschuldigten führen die nordrhein-westfälischen Ermittler zudem einen 62 Jahre alten Deutschen aus dem Raum Hattingen. Er wird verdächtigt, als führender Kopf ein professionell agierendes internationales Betäubungsmittel-Netzwerk betrieben und vor allem Kokain für hochrangige Mitglieder der ‘Ndrangheta geschmuggelt zu haben. Nach Erkenntnissen der europäischen Ermittlungskooperation bezog die Tätergruppierung die Betäubungsmittel aus den Niederlanden und aus Belgien. Den Transport nach Italien erledigten sie in – von Spezialisten in Spanien aufwändig umgebauten – Fahrzeugen.

Die Sicherstellung von Beweismaterial war zum Teil aufwendig wie hier in Saarlouis, wo ein Aktenschrank abtransportiert wurde.

Die Sicherstellung von Beweismaterial war zum Teil aufwendig wie hier in Saarlouis, wo ein Aktenschrank abtransportiert wurde. : Bild: dpa

Diese Autos verfügten für das luftdicht verpackte Rauschgift über Verstecke, die allenfalls in aufwändigen Polizeikontrollen auffallen. Mithilfe der Fahrzeuge soll es der Gruppe um den Mann aus Hattingen gelungen sein, bei mindestens 58 Schmuggelfahrten allein im Zeitraum Februar 2018 bis November 2022 circa 900 Kilogramm Kokain nach Italien transportiert zu haben. Dem Netz um den Mann aus Hattingen rechnen die Ermittler derzeit 17 Beschuldigte zu. Die ‘Ndragheta soll nicht nur die Dienste dieses Netzes genutzt haben, auch Mitglieder der albanischen Mafia sollen für sie Kurierfahrten erledigt haben.

Zudem soll der 62 Jahre alte Hauptbeschuldigte in den Jahren 2008/2009 auf diese Weise selbst insgesamt eine Tonne Kokain nach Italien transportiert haben. NRW-Innenminister Herbert Reul lobt die Ergebnisse der Ermittler als „verdammt gute Arbeit“. Es sei gelungen, Schwerkriminelle „aus ihren Hinterzimmern und mafiösen Parallelwelten zu holen und ihnen eine neue vergitterte Bleibe zu geben.

Oliver Huth, der Leiter der Einsatzgruppe im NRW-Landeskriminalamt, berichtet, dass seine Behörde im Juli 2020 schon sehr konkrete Hinweise aus Italien bekam. Polizei und Staatsanwaltschaft dort waren den nun in NRW Beschuldigten durch eine Panne bei einer Kurierfahrt zweier Frauen von Deutschland nach Kalabrien auf die Spur gekommen. „Die Ermittlungen unserer italienischen Partner haben dazu geführt, dass Nordrhein-Westfalen ein Stück von diesem Informationskuchen abbekommen hat und in die Ermittlungen einsteigen konnte.“ Ein weiterer wichtiger Hinweis sei aus Belgien gekommen, so Huth. Dort hatte die Polizei einen Mafia-Geldeintreiber observiert und dabei festgestellt, dass es sich bei ihm um einen Mitinhaber der Eisdiele in Siegen handelte. Huth bestätigte damit die Berichterstattung von F.A.Z. und MDR über die Anti-Mafia-Operation.

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