Putins Amtseinführung: „Dieses Regime verkrustet immer mehr“

interview

Stand: 07.05.2024 19:15 Uhr

Putin sende mit seiner Inszenierung ein Signal der Stabilität, sagt Russlandexpertin Sabine Fischer. Seine kommende Amtszeit werde völlig im Zeichen des Krieges stehen – während ungelöste Fragen immer drängender würden.

tagesschau: Die sogenannte „Inaugurazija“, bei der Wladimir Putin sich zum fünften Mal als Präsident der Russischen Föderation bestätigen ließ, war kein langes Spektakel, aber ein genau inszeniertes. Wie bewerten Sie die einzelnen Elemente – Putins langer Weg durch die Kreml-Gänge, sein Eid auf die Verfassung, Militärparade und anschließender Kirchgang?

Sabine Fischer: Die Inszenierung sollte die Festigkeit des Regimes und seines Herrschers symbolisieren und Stärke nach außen signalisieren. Davon war ja auch seine Rede getragen: Putin, der Herrscher über Russland, der nach innen Sorge trägt für das Wohlergehen der russischen Bevölkerung, der zugleich aber auch das Land nach außen als Großmacht etabliert und weiter stärkt. Er hat ja die Rede dann auch beschlossen mit den Worten: „Gemeinsam werden wir obsiegen.“

Der Segen der russisch-orthodoxen Kirche gehört natürlich zu dieser Inszenierung. Patriarch Kyrill hat Putin zugesichert, sowohl das Volk als auch die Kirche hätten Verständnis dafür, wenn der Herrscher manchmal „schwere Entscheidungen treffen“ müsse. Das passt in das russische Narrativ vom Krieg in der Ukraine, der nach Lesart des Kreml ein Verteidigungskrieg Russlands gegen den sogenannten kollektiven Westen ist. Wenn die Kirche in diesem Propagandabild auftaucht, geht es auch stets um traditionalistische Werte, die das Regime zu verteidigen behauptet und die es seit zehn Jahren mit immer größerer Verve propagiert.

Sabine Fischer

Zur Person

Sabine Fischer ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu ihren Themenschwerpunkten gehören die russische Außen- und Sicherheitspolitik und ungelöste Konflikte in der östlichen EU-Nachbarschaft. 2023 erschien ihr Buch „Die chauvinistische Bedrohung: Russlands Kriege und Europas Antworten“.

tagesschau: Blicken wir auf die Gästeliste: Die Fernsehübertragung der Zeremonie zeigte bekannte Köpfe der russischen Elite und den eingebürgerten und zum „Beauftragten für humanitäre Beziehungen mit den USA“ ernannten Filmschauspieler Steven Seagal, Medienberichten zufolge sollen auch Diplomaten aus Frankreich, Ungarn, der Slowakei, Griechenland, Malta und Zypern dabei gewesen sein. Was hat sich da verändert – verglichen mit den vier vorherigen Amtseinführungen?

Fischer: Dahinter steht die Disruption der Beziehungen mit dem Westen – mit Ausnahmen wie Ungarn – und die Tatsache, dass Russland zurückgeworfen ist auf die Staaten, die seinen Krieg gegen die Ukraine auf internationaler Ebene zumindest nicht kritisieren oder sogar mittragen und unterstützen.

Natürlich ist das ein großer Unterschied zu der Situation 2018 und erst recht zu den Inaugurationen 2004, 2012 und 2018. Was ich auffällig fand war, dass wesentlich weniger Menschen im Andreas-Saal des Kremlpalasts zugegen waren als bei früheren Inaugurationen. Ich bin nicht sicher, ob das daran liegt, dass die Zahl der internationalen Vertreterinnen und Vertreter abgenommen hat oder noch immer eine Folge der Corona-Pandemie ist. Diese Tendenz, dass Putin sich allenfalls noch mit kleineren Menschengruppen trifft oder großen Abstand hält, hat mit der Pandemie eingesetzt und sich nie mehr geändert.

„Nawalnaja hat inhaltlichen Akzent gesetzt“

tagesschau: Auch die russische Opposition machte vor der Inauguration auf sich aufmerksam: Jekaterina Dunzowa hat es nach langem Anlauf geschafft, eine Partei zu gründen, Mitarbeiter des toten Kremlkritikers Alexej Nawalny veröffentlichten eine neue Recherche über Umbauten in Putins Sommerresidenz, seine Witwe Julia Nawalnaja lud eine kurze Ansprache auf YouTube hoch, in der sie Putins Wahlversprechen der vergangenen Jahrzehnte mit dem verglich, was nach der jeweiligen Inauguration wirklich geschah. Alle wirkten aber eher bemüht als kämpferisch. Eine starke Gegeninszenierung sieht anders aus.

Fischer: Momentan kann die Opposition sehr wenig ausrichten. Das hat auch mit der militärisch momentan für Russland recht günstigen Situation in der Ukraine zu tun. Seit Russland 2022 endgültig zu einer Diktatur geworden ist, sind viele Oppositionelle ins Ausland gedrängt worden oder sitzen im Gefängnis. Die wenigen, die noch tätig sind, werden massiv eingeschüchtert und daran gehindert, sich am politischen Prozess zu beteiligen. Der Mord an Nawalny war ein weiterer schwerer Schlag.

Das Regime ist zumindest für den Moment stabil. Auch in Russland wissen nicht wenige Menschen, dass die Präsidentschaftswahlen im März eine reine Inszenierung waren und das Ergebnis von 87 Prozent für Putin nicht der Realität in der Gesellschaft entspricht. Aber das Signal steht erst einmal so, und das Regime wird den Krieg, den es vom Zaun gebrochen hat, weiterführen.

Julia Nawalnaja hat einen richtigen inhaltlichen Akzent gesetzt, indem sie klar gezeigt hat, wovon Putin in früheren Amtseinführungsreden gesprochen hat – nämlich von Versprechen, für das Wohl des Volkes zu sorgen, den Lebensstandard zu verbessern, von Freiheit, Gleichheit – und argumentiert, dass er genau das Gegenteil von dem tut, was er in all den Jahren davor versprochen hat. Wir werden sehen, welche politische Wirkung sie am Ende entfalten kann.

„Funktionsprinzip Loyalität“

tagesschau: Am Tag der Inauguration tritt auch die Regierung zurück – das gibt Putin als Präsident die Möglichkeit, neue Minister zu ernennen. Im Vorfeld gab es viele Gerüchte. Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit von Veränderungen ein?

Fischer: Das Regime sieht sich zunehmend einem Dilemma gegenüber, das biologische Gründe hat. Putin ist jetzt Anfang 70, die meisten seiner Weggefährten, die er seit vielen, vielen Jahren mit sich zieht, sind Altersgenossen. Das heißt, dieses Regime wird immer älter und verkrustet auch immer mehr, weil ein wesentliches Funktionsprinzip dieses Regimes Loyalität gegenüber Putin ist. Das Loyalitätsprinzip hat dazu geführt, dass sehr viele Akteure, selbst wenn sie sich als noch so unfähig erwiesen haben, immer weiter in Ämtern geblieben sind.

Gleichzeitig wird irgendwann eine gewisse Erneuerung notwendig sein, wenn das Regime überleben will. Genau darum dreht sich jetzt diese ganze Spekulation: Ob es einen neuen Premierminister geben wird, ob Sergej Kirienko für die gelungen Inszenierung der Wahl mit einem besseren Posten belohnt werden soll oder mit Alexej Djumin ein ehemaliger Leibwächter Putins einen Karriereschritt macht? Ich kann dazu keine Vorhersage machen. Wir wissen heute noch weniger, was im russischen Zentrum der Macht vor sich geht als vor dem Februar 2022.

Und jede Form von Erneuerung widerspricht eigentlich dem grundlegenden Funktionsprinzip dieses verkrusteten und alternden diktatorischen Regimes. An den Grundlinien der Politik wird sich so und so nichts ändern: Russland unter Putin ist ein extrem personalisiertes, diktatorisches Regime. Vor der Präsidentschaftswahl 2018 gab es eine Phase, in der sogenannte liberale Technokraten und die konservativen Teile der Eliten argumentativ gegeneinander angetreten sind, sogar ermutigt vom Kreml in Form von verschiedenen Expertenräten. All das ist vorbei. Der Kreml ist in der zurückliegenden Amtsperiode Putins immer stärker auf diese extrem konservative, imperialistische und aggressive Linie eingeschwenkt. Und da wird er bleiben.

tagesschau: Was steht also den Menschen in Russland bevor bis zum voraussichtlichen Ende von Putins gerade begonnener Amtszeit im Jahr 2030?

Fischer: Der erste und praktisch einzige Punkt auf der Agenda ist der Krieg. Alles andere wird diesem Krieg jetzt untergeordnet: die Wirtschaft, die Innenpolitik, die Außenpolitik. Und das hat Putin, denke ich, heute in seiner Rede, aber auch in anderen Reden immer wieder klar gemacht.

Ich glaube, es läuft darauf hinaus, dass die russische Seite im Moment sich in relativer Sicherheit wiegt, dass sie diesen Krieg mühsam und langsam, aber dennoch mit begrenzten Erfolgen weiterführen kann bis zu den US-Präsidentschaftswahlen im November. Und dann hofft man, dass Donald Trump an die Macht kommt und das Kriegsgeschick der Ukraine sich wendet, weil die internationale Hilfe für die Ukraine einbrechen könnte.

Der Krieg war auch im Inneren Russlands ein unglaublicher Brandbeschleuniger für Repressionen. Wir haben jetzt gerade in den letzten Tagen wieder gesehen, wie das Gesetz zu ausländischen Agenten verschärft worden ist. Es werden täglich Leute verhaftet, Journalisten drangsaliert. All das wird an Intensität zu- und nicht abnehmen.

Das Gespräch führte Jasper Steinlein, tagesschau.de

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