Das Sterben der Sternerestaurants

Wer die Küche des Restaurants Nobelhart & Schmutzig noch einmal so erleben will, wie sie dem Gründer und Wirt ­Billy Wagner einen Michelinstern einbrachte, muss sich jetzt sputen. Denn neun Jahre nach der Gründung ändert das Lokal in der Berliner Friedrichstraße grundlegend sein Konzept. Statt bislang zehn kleinen, auf das Wesentliche reduzierten Gängen wird es ab dem ersten April nur noch sechs Gänge geben, die außerdem „rustikaler“ daherkommen sollen. Konkret heißt das: Statt 225 Euro kostet das Menü nun freitags und samstags 130 Euro, von Dienstag bis Donnerstag bezahlen die Gäste statt 195 Euro nun 115 Euro. „Das Essen wird bodenständiger. Weniger Fine ­Dining, mehr casual“, so fasst es Wagner zusammen. Nur bei seiner Philo­sophie „brutal lokal“ will Wagner sich treu bleiben.

Anna Sophie Kühne

Redakteurin in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Im Nobelhart & Schmutzig zeigt sich im Kleinen, was Deutschlands Spitzengastronomie derzeit umtreibt: Die Zeiten, in denen die Leute ihre Namen auf Listen schreiben ließen und wochenlang warteten, um schließlich Hunderte Euro für ein Abendessen ausgeben zu dürfen, sind vorbei. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass vor wenigen Tagen erst eine Rekordzahl an Restaurants in Deutschland vom Guide Michelin ausgezeichnet wurde. Der schmückende Stern allein zahlt noch keine Rechnung, das tun nur die Gäste. Doch wer heute einen Tisch für vier Personen in einem Sternerestaurant reservieren möchte, kann dies oft schon für das übernächste Wochenende tun. Und wenn das nicht möglich ist, dann gibt es fast unter Garantie zeitnah unter der Woche einen Platz.

Billy Wagner hat erstmals im Winter 2022 gemerkt, dass sein Restaurant „ziemlich plötzlich“ leerer war. „Im Laufe des letzten Jahres ist die Nachfrage dann noch mehr zurückgegangen.“ Man spüre, dass die Leute weniger Geld in der Tasche hätten. Für die Spitzenrestaurants, die oft nur wenige Plätze haben und auf eine hohe Auslastung angewiesen sind, ist das ein Problem. Unter der Überschrift „Dine or Die“ veröffentlichte das Berliner Restaurant Horváth einen verzweifelten Brandbrief bei Instagram. Darin heißt es: „Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, dass das Fine Dining, wie wir es kennen, kurz vor dem Aussterben stehen könnte.“ Andere Restaurants mussten schon aufgeben, etwa das „Phoenix“ im Dreischeibenhaus in Düsseldorf, das sich ebenfalls mit einem Michelinstern schmücken durfte. Getreu dem Namen will es allerdings wiederauferstehen: als Kantine. In Selbstbedienung wird es künftig Kaffee und Tee, Sandwiches und Kuchen geben – ein Konzept, das besser in wirtschaftsschwache Zeiten passt.


Auch das Berliner Sternerestaurant Ernst schließt Ende dieses Jahres, wie der Gründer und Koch bestätigte. Zwar gebe es „ganz verschiedene, zum Teil private Gründe dafür“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Allerdings sei ihm die Entscheidung erleichtert worden durch die Tatsache, dass „es gerade eine extrem schwierige Zeit ist, um in Deutschland ein Fine-Dining­-Restaurant zu führen, vor allem in einer Stadt wie Berlin“. Es laufe schlicht nicht mehr so gut, ,,wir sind zu oft nicht ausgebucht“. Im noblen Tantris-Restaurant in München gibt es seit einigen Monaten ein Menü für junge Leute unter 35, Kostenpunkt 150 Euro. Immer häufiger verlangen die Restaurants zudem sogenannte No-show-Gebühren, die fällig werden, wenn Gäste trotz Reservierung nicht auftauchen. Man kann es sich offenbar nicht mehr erlauben, auf den Umsatz zu verzichten – und nicht mit Laufkundschaft oder spontanen Reservierungen rechnen.

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