Der alte „Jedermann“ wird abserviert

Nein, es habe keinen Krach gegeben, versichert Bettina Hering, die Schauspielchefin der Salzburger Festspiele. Nein, es liege auch nicht an einem Konflikt zwischen dem neuen Hauptdarsteller Tobias Moretti oder anderen Schauspielern und den bisherigen Regisseuren Julian Crouch und Brian Mertes. Es sei nur so: „Die Arbeit kann nicht wirklich starten, weil man da einen Konsens nicht gefunden hat.“ Und „da“ heiße „in vielen intensiven Gesprächen“.

Dieser Mangel an Konsens hat zu dem geführt, was die Salzburger Festspiele am Donnerstag um 16.31 Uhr per E-Mail mitteilten: „Michael Sturminger übernimmt die Regie des ,Jedermann‘.“ Zudem werde auch die Ausstattung – also Bühnenbild und Kostüme – erneuert.

Dafür bringt Michael Sturminger als Ausstatter Renate Martin und Andreas Donhauser mit nach Salzburg. Mit den beiden hat er zum Beispiel 2016 „Der Gott des Gemetzels“ am Stadttheater Klagenfurt sowie 2015 die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von HK Gruber für Bregenzer Festspiele und Theater an der Wien gestaltet. Mit den beiden sollte er heuer für die Festspiele Perchtoldsdorf, deren Intendant er seit 2014 ist, am 28. Juni Lessings „Minna von Barnhelm“ herausbringen; so kündigt es jedenfalls noch deren Webseite an. Michael Sturminger hat auch Opern inszeniert – etwa „Idomeneo“ oder „Ariadne auf Naxos“ am Mariinsky in St. Petersburg oder „Salome“ in Klagenfurt. Zudem inszeniert er soeben eine Kammeroper in Salzburg: Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ hat übermorgen, Sonntag, bei den Osterfestspielen Premiere – auch die macht er gemeinsam mit Renate Martin und Andreas Donhauser. Er arbeitet seit mehreren Jahren mit dem Schauspieler John Malkovich – etwa 2013 für den Spielfilm „Casanova Variations“. Heuer im März gestalteten die beiden das Musiktheater „Just Call Me God“ für die Elbphilharmonie Hamburg.

Einen „Jedermann“ für die Salzburger Festspiele zu inszenieren ist ein immenses Unterfangen. Jahrzehntelang war die Vorgabe von Max Reinhardt, der damit 1920 die Salzburger Festspiele begründet hatte, so mächtig, dass erst dessen Regieassistent Ernst Haeusserman und dann wiederum dessen Regieassistent Gernot Friedel sich um behutsame Auffrischungen der Inszenierung auf dem Domplatz kümmerten. Mit dieser Tradition wurde erst 2002 gebrochen, als der damalige Schauspielchef Jürgen Flimm Christian Stückl dafür engagierte. Als Sven-Eric Bechtolf Schauspielchef wurde, holte er den in New York lebenden Briten Julian Crouch und den US-Amerikaner Brian Mertes für eine Neuinszenierung.

Dass nach allen Ankündigungen – erst in der Pressekonferenz im November 2016, dann bei vielen Präsentationen von Moskau, Seoul, Paris, London, Zürich, New York, Berlin bis München – plötzlich eine Neuinszenierung vorgenommen wird, klingt nach Notbremse und Katastrophenabwendung.

Immerhin hatte Tobias Moretti bereits im November in Wien bekannt, erst nach langem Zögern für die Titelrolle zugesagt zu haben. Damals hatte er auch gesagt, dass man Hofmannsthals Stück mit „all seinen Diskrepanzen“ nicht mehr spielen könne wie früher, man müsse das Stück neu sichten, „einen Weg der Brechung gehen“. Gab es also Unstimmigkeiten mit Tobias Moretti? „Nein, das ist nicht so“, versichert Bettina Hering. „Das betrifft den gesamten Vorgang. Da geht es nicht um Personalien. Es geht um das Gesamtprinzip.“

Julian Crouch und Brian Mertes seien mit der Prämisse engagiert worden, ihre Inszenierung weiterzuentwickeln. Da neun Rollen – darunter Tobias Moretti und als Buhlschaft Stefanie Reinsperger – neu besetzt seien, hätte dies deutlich mehr sein müssen als eine Wiederaufnahme, sagt Bettina Hering. Deshalb seien auch sechs Wochen Probenzeit angesetzt worden.

Eine derartige Umbesetzung „hat große Kraft“, und „das muss auch Platz haben“. Doch noch bevor die Proben begonnen hätten, sei in Gesprächen festgestellt worden, „dass wenig Raum bleiben würde für die Schauspieler“. Bettina Hering versichert: „Da ist kein böser Wille auf beiden Seiten.“ Offenbar gebe es einen „kulturellen Unterschied“ zwischen deutschsprachigem und englisch-amerikanischem Theater. Die Entscheidung für Sturminger sei mit dem Direktorium gefallen. Denn dieser sei ein „toller Denker“. Er sei „in Schauspiel wie Musiktheater beheimatet“ und habe auch „große Formate“ bespielt, was mit Blick auf den Domplatz wichtig sei. Ab 6. Juni soll dort probiert werden.

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