Wie Jan Marsalek einen Spionagering für Russland führte

Egisto Ott, der am Karfreitag wegen Spionageverdachts festgenommene frühere österreichische Verfassungsschützer, hat den Vorwurf zurückgewiesen, Mitglied einer „geheimdienstlichen Gruppierung“ gewesen zu sein. Stattdessen, so hat er in seiner Vernehmung laut österreichischen Medien erzählt, habe er als Teil eines Aufdeckerteams gewirkt. Und dabei habe man keinen Interessen irgendeiner fremden Macht gedient, sondern „von Ost bis West, also weltumspannend“ dem Guten und Wahren: „Wir decken, egal wo, einfach Schweinereien meistens mit nachrichtendienstlichem Hintergrund auf.“

Eine Art Investigativjournalist ohne Veröffentlichungsplattform will Ott also gewesen sein, was immer das sein mag. Und das quasi nebenberuflich. Hauptberuflich stand er bis zuletzt im Dienst der Republik Österreich, wenn auch als Verfassungsschützer seit Jahren suspendiert. Einen Verdacht gegen ihn gab es schon seit 2017, als ein ausländischer Dienst den Österreichern einen ersten Hinweis gab. 2022 wurde Ott sogar schon einmal festgenommen. Doch dem Wiener Landesgericht erschienen bei der Haftprüfung die Beweise nicht dicht genug und Flucht- oder Wiederholungsgefahr nicht gegeben. Warum das Schwert der Justiz in Sachen Spionage in Österreich so stumpf ist, darüber ist jetzt in Wien eine lebhafte Debatte entbrannt.

Denn erst neuerliche Hinweise aus dem Ausland, diesmal aus Großbritannien, haben dazu geführt, dass Ott für voraussichtlich längere Dauer in Haft genommen wurde. Die Informationen, die den Briten in die Hände gefallen sind, und was die österreichischen Ermittler inzwischen zusammengetragen haben, all das sieht ganz und gar nicht nach dem aus, was der Untersuchungshäftling vorgebracht hat. Es ergibt das Bild eines Spionagekraken in russischen Diensten mit einem Wiener Arm, der bis in den Verfassungsschutz hineinreichte.

Marsalek und die britische Zelle

Ausspioniert wurden nicht in erster Linie Staatsgeheimnisse, obwohl auch solche möglicherweise als Beifang in Moskau gelandet sind. Sondern Informationen über Menschen, die dem Regime im Kreml ein Dorn im Auge sind. Und denen Moskaus Schergen mutmaßlich nach dem Leben trachten. Darunter solche Leute, wie Ott einer zu sein vorbringt: Investigativjournalisten, die tatsächlich „Schweinereien“ enthüllt haben. Dissidenten, die das Land verlassen haben. Militärs oder Geheimdienstleute, die sich aus welchen Gründen auch immer abgesetzt haben.

Kopf dieses Kraken ist auch ein Österreicher. Er hat in Deutschland in einem anderen Zusammenhang einen zweifelhaften Ruf erlangt: Jan Marsalek, der flüchtige einstige Wirecard-Spitzenmanager, nach dem wegen mutmaßlichen Milliardenbetrugs gefahndet wird. Er hat sich, das ist schon länger bekannt, mithilfe seiner österreichischen Verbindungsleute im Juni 2020 vom Flugplatz Bad Vöslau bei Wien via Minsk nach Russland abgesetzt. Dass er offenbar für den russischen Geheimdienst FSB Agenten führte, und zwar nach, aber auch schon vor seiner Flucht, ist dagegen eine neuere Erkenntnis. Britische Ermittler stießen auf zahlreiche Chats mit Marsalek, als sie Geräte und Benutzerkonten einer Zelle auswerteten, die vor einem Jahr hochgenommen wurde.

In Großbritannien wird nicht direkt gegen Marsalek ermittelt, allerdings wird er dort als Führer der Gruppe angesehen, die in England Spionage- und Überwachungsaufträge ausführte. Es sind vier Männer und zwei Frauen, die alle aus Bulgarien stammen. Ihre Verbindung zu Marsalek wurde im Frühjahr vergangenen Jahres offenbar, als die Staatsanwaltschaft zunächst gegen fünf von ihnen Untersuchungshaft beantragte und vor Gericht die Haftgründe nennen musste.

Demnach galt die Wohnung Orlin Roussevs als eine Art Hauptquartier des Netzwerks. Roussev habe seine Anleitungen von Marsalek aus dem Ausland bekommen. Mit Details zu den Tatvorwürfen gegen die Bulgaren halten sich die britischen Strafverfolger bislang zurück. Es wird gegen sie allgemein der Vorwurf erhoben, ihre Überwachungstätigkeiten bestimmter Ziele hätten dazu gedient, Russland zu helfen, „feindliche Aktionen gegen die Ziele“ zu richten, was „mögliche Entführungen“ eingeschlossen habe.

Die Rolle Egisto Otts

Offenkundig haben sich diese Aufträge zum Ausspionieren nicht auf Großbritannien beschränkt. Bei der Enttarnung der Gruppe fand die Polizei viele gefälschte europäische Pässe. Auch das sechste Mitglied, das Ende Februar dieses Jahres festgenommen wurde – nachdem die Handys und andere Kommunikationsmittel der Gruppe ausgewertet worden waren und eine Spur zu ihm führte –, soll 2021 und 2022 in Österreich und Montenegro Aufträge zum Auskundschaften erledigt haben. Der Prozess gegen die bulgarische Gruppe soll im Oktober im Londoner Kriminalgericht Old Bailey beginnen, die Anklage lautet bislang unter anderem auf Dokumentenfälschung.

Als österreichischer Ableger war Egisto Ott ein Zuträger. Seine Aufträge erhielt er nicht von Marsalek direkt, sondern von einem ehemaligen höherrangigen Dienstkollegen: Martin Weiss, der im Wiener Verfassungsschutz ausgerechnet die Spionageabwehr leitete. Österreichische Medien haben inzwischen den Werdegang der beiden nachgezeichnet, der vom Polizeidienst über internationale Verwendungen (Ott in Italien und der Türkei, Weiss in Brüssel) ins damals BVT abgekürzte Verfassungsschutzamt führte. Bei beiden geriet die Karriere ins Stocken. Ott wurde 2017 suspendiert, weil er dienstliche Daten auf sein privates E-Mail-Konto geschickt hatte. Weiss ließ sich 2016 aus Gesundheitsgründen „karenzieren“, also ohne Bezüge auf Dauer beurlauben. Bald darauf heuerte er bei Marsalek an – als „Sicherheitsberater“.

Nachdem bekannt geworden war, dass er die Flucht Marsaleks eingefädelt hatte, wurde Weiss in Österreich festgenommen und sagte – angeblich unter Tränen – aus. Demzufolge führte er für Marsalek „Abklärungen“ zu Personen aus, die diesen interessierten. Und dafür bediente er sich seines alten Kollegen Ott. Der war zwar beim BVT suspendiert, nutzte aber seine Kontakte in Österreich, aber auch in Italien und der Türkei, und auch mal die Polizeimarke. Über ihn sollen auch Diensthandys dreier Spitzenbeamter im Wiener Innenministerium sowie Laptops mit sensibler westlicher Verschlüsselungstechnik nach Moskau gelangt sein. Ott bestreitet das. Auf seinem Konto fanden Ermittler über die Jahre auffällig hohe Bareinzahlungen, die dessen Lebensstil mit Wohnung in Wien und Villa in der Kärntner Heimat erklären würden.

Ob beide bewusst als Teile des Spionagenetzes agierten, muss bis zum Abschluss allfälliger Verfahren dahingestellt bleiben. Jedenfalls landeten die Informationen Otts über Weiss bei Marsalek. Und da eine Hand die andere wäscht, verhalf der wiederum offenbar Weiss zur Flucht. Unter dem Versprechen, der Justiz zur Verfügung zu stehen, wurde Weiss vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Was dann geschah, liest sich in einer Nachricht Marsaleks an Roussev so: „Ich habe es gerade geschafft, meinen österreichischen Mann nach Dubai zu evakuieren. Das war auch ein ziemliches Abenteuer. Wir waren besorgt, dass sie ihn am Flughafen wieder verhaften würden.“ Seitdem ist Weiss für die österreichische Justiz nicht mehr greifbar. Allerdings ist man dort außerordentlich darüber irritiert, dass Weiss im April 2022 bei der Staatsanwaltschaft in München erschienen ist und über Marsalek ausgesagt hat. Er gab an, er habe zu ihm keinen Kontakt und wisse nicht, wo er sei. Den Wienern sagten die Münchener laut einem Bericht der Zeitschrift „Profil“ damals nichts davon, dass ihr Beschuldigter gerade bei ihnen sitzt.

Der Fall Christo Grozev

Über mindestens 309 Personen hat Marsalek durch sein Netzwerk Erkundigungen eingeholt. Die Informationen wurden teils aus Polizeidatenbanken abgefragt, teils aber auch aus offenen Quellen bezogen. Wobei Ott versucht zu haben scheint, seine Spuren zu verschleiern. So kam er an die Adresse einer seiner Zielpersonen, des Journalisten Christo Grozev, nicht durch elektronische Abfrage. Sondern er ging dafür zum Meldeamt im kärntnerischen Spittal, wies die Polizeikokarde vor und gab einen dienstlichen Grund an. Kurz darauf gab es einen Einbruch in Grozevs Wiener Mietwohnung. Ein Laptop und mehrere USB-Sticks wurden gestohlen.

Harmlos waren die Dienste, die dem FSB offenbar aus Österreich geleistet wurden, keinesfalls. Grozevs Name ist mit den größten Enthüllungen über die russischen Geheimdienste der vergangenen Jahre verbunden. Der 54 Jahre alte Investigativjournalist stammt aus Bulgarien und arbeitete jahrelang in Russland. Er recherchierte zu Marsaleks Flucht und Verbindungen nach Russland, zuvor zu dem Abschuss von Flug MH17, einem Umsturzversuch in Montenegro sowie zu Giftmordanschlägen der Geheimdienste GRU und FSB unter anderem auf den Doppelagenten Sergej Skripal 2018 in England und auf den Putin-Gegner Alexej Nawalnyj in Sibirien 2020. Dessen Tod in russischer Haft will Grozev jetzt ebenfalls aufklären. Auch arbeitete er zum Mord an einem Tschetschenen im Tiergarten in Berlin, sagte dort auch im Prozess gegen den Killer des FSB aus.

Seit Ende 2022 ist Grozev in Russland zur Fahndung ausgeschrieben. Moskaus strafrechtliche Vorwürfe gegen den Journalisten sollen unter anderem umfassen, dass er einem Kollegen 2021 geholfen habe, aus Russland zu fliehen. Besonders gefährlich für Leute wie ihn, die in Moskau als Staatsfeinde gelten, sind aber außerrechtliche Schläge. Das macht es so heikel, dass Grozev offenbar auf Betreiben Marsaleks in Wien ausspioniert worden ist. Dort lebte der Journalist bis ins vergangene Jahr, lange unter Polizeischutz, kehrte aber von einer Reise in die Vereinigten Staaten nicht zurück: Wien war für ihn zu gefährlich geworden. Man wisse nicht, ob Marsaleks „Prokremlnetz“ in Österreich noch existiere, warnte Grozev vor Kurzem in einem Interview.

Ott soll zudem Informationen über einen früheren FSB-Oberst gesammelt haben, der sich nach Montenegro abgesetzt hat. Dabei dürfte es sich um Dmitrij Senin handeln. Diesen hat ein Militärgericht in Moskau im Oktober in Abwesenheit zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt, unter Vorwürfen um Korruption und Desertion. Senin soll Russland im Februar 2017 unter falschem Namen über Georgien verlassen haben und nach Montenegro gelangt sein. Zum Problem wurde das für Moskaus Sicherheitsbehörden erst mit Verzögerung. Im Juni 2021 wurde Senin von Russland zur internationalen Fahndung ausgeschrieben und im September 2022 in Montenegro festgenommen. Er erhielt aber politisches Asyl, kam frei und unter Polizeischutz. Wie die „Nowaja Gaseta“ berichtete, hänge das damit zusammen, dass Senin in Russland „aus politischen Gründen“ verfolgt werde: Bei ihm seien „angeblich ukrainische Wurzeln gefunden worden“ und er verurteile den Ukrainekrieg.

Dem abtrünnigen FSB-Mann spürte Ott mit besonderer Akribie nach. Wie aus dem Haftbefehl hervorgeht, hatte der Österreicher dazu einen Satz Fingerabdrücke sowie Privatfotos Senins, seiner Frau und seiner Kinder zur Verfügung. Offensichtlich hatte der FSB das Material direkt oder indirekt zur Verfügung gestellt. In einer Mail von Chefinspektor zu Chefinspektor schickte Ott 2017 die Fingerabdrücke an einen Kollegen im BVT und schwurbelte etwas von verdeckten Ermittlungen wegen geplanter extremistischer Aktionen. Tatsächlich wollte er offenbar herausfinden, ob Senin irgendwo unter falschem Namen untergetaucht und mithilfe der Fingerabdrücke zu finden sei.

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